"Eminem trifft genau unsere Situation"
Er ist die Hoffnung der deutschen Fans. Bundestrainer Jürgen Klinsmann steht jetzt vor der WM im Fokus wie kaum ein anderer. Im Interview spricht der Schwabe diesmal nicht über Aufstellung und Taktik, dafür aber über explodierende Brezeln, HipHop und Gutenachtgeschichten.
Frage: Würden Sie darauf wetten, dass Deutschland Weltmeister wird?
Klinsmann: Wenn ich dürfte, ja.
Frage: Wie viel würden Sie setzen?
Klinsmann: Ich würde nur symbolisch wetten, ich bin absolut kein Zockertyp. Aber ich würde schon etwas in den Pott reinschmeißen.
Frage: Was ist der Unterschied zwischen dem DFB 2004 und 2006?
Klinsmann: Der Glaube, letztlich auch im internationalen Fußball erfolgreich sein zu können, ist ausgeprägter als 2004.
Frage: Wäre es Ihnen im Nachhinein lieber, Sie hätten beim Konföderationen-Cup nicht so gut gespielt und die Erwartungen wären nicht ausgeufert?
Klinsmann: Überhaupt nicht. Der Confed-Cup hat uns sehr viel gegeben, die jungen Spieler mussten lernen mit Extremen umzugehen: Die Stimmung war vorher negativ, dann extrem positiv. Danach die Balance zu finden, hat Monate gedauert. Das war enorm lehrreich für die Weiterentwicklung.
Frage: Sie können ganz schön austeilen wie nach dem Spiel gegen die USA.
Klinsmann: Wir neigen in Deutschland einfach dazu, alles schlecht zu machen. Das hat sich extrem hochgeschaukelt vor dem USA-Spiel. Deshalb habe ich nach dem Spiel gefragt: Was ist eigentlich passiert? Wir haben in Florenz ein Spiel verloren, 1:4 gegen Italien, und dann ist der Trainer nicht zu einem Workshop gegangen. Ich habe in Dortmund nur sagen wollen: Das ist die WM für alle, für Fans, für die Mannschaft und auch die Medien, die kommt nicht wieder. Überlegt euch doch mal, wie ihr damit umgeht.
Frage: In Dortmund fühlten sich alle Medien angesprochen. Neigen Sie zur Pauschalkritik, wenn Sie zornig sind?
Klinsmann: Ich habe von einigen gesprochen, die nur wegen der Auflage in Beleidigung und Rufschädigung übergehen. Die Konsequenz ist, dass Spieler oder Trainer Anwälte einschalten müssen. So geht nur Zeit und Energie verloren.
Frage: Als Antrittsgeschenk erhielten die Nationalspieler einen iPod und das Buch von Napoleon Hill "Denke nach und werde reich".
Klinsmann: Das Buch ist von Oliver Bierhoff, der iPod war ein passendes Geschenk, das auch viel benutzt wird. Jetzt spielt eine iPod-Generation für Deutschland, die HipHop hört. Wir hatten noch unseren Walkman mit Kassetten drin. Darauf muss man sich halt einstellen. Wenn HipHop gehört wird, wird eben HipHop gehört.
Frage: Sie mögen keinen HipHop?
Klinsmann: Doch, natürlich, aber meine Musik ist Genesis und Yes.
Frage: Was gibt Eminem dem Nationalteam?
Klinsmann: Eminems Song "Lose yourself" trifft genau unsere Situation: "Look, if you had one shot, or one opportunity to seize everything you ever wanted - in one moment. Would you capture it or just let it slip?" Wir gehen auf etwas zu, die Chance kommt nie wieder, lass sie uns doch ergreifen. Und nicht danach sagen, wenn ich das richtig eingestuft hätte, hätte ich mich noch mehr reingehängt. Wir können etwas Fantastisches erreichen, wenn wir wollen.
Frage: Ihre Art wird manchmal als amerikanisch und oberflächlich kritisiert.
Klinsmann: Meine Denkweise hat nichts mit Amerika zu tun, die hatte ich auch als ich in Deutschland, Frankreich, England oder Italien lebte. Sie ist aus Überzeugung optimistisch.
Frage: Sie gelten als knallharter Verhandlungspartner.
Klinsmann
reagiert emotional) Das ist auch so ein Klischee. Ich habe nach jeder Verhandlungsrunde Dinge aufgeschrieben, die ich besser machen wollte und so ständig dazugelernt. Es gab aber noch nie Verhandlungen, bei denen jemand ausgerastet ist. Dass jemand aufsteht und die Türen zuknallt, wie es in Italien üblich ist, gab es bei mir nie. Auch die Verhandlungen mit dem DFB sind in kürzester Zeit abgeschlossen worden.
Frage: Was ist für Sie Zivilcourage? Greifen Sie ein, wenn jemand angegriffen oder beleidigt wird?
Klinsmann
schaut skeptisch. Offenbar vermutet er hinter der Frage einen Hinterhalt) Das weiß ich nicht, weil meine Reaktion situationsbedingt wäre. Nächste Frage.
Frage: Wer verdient den Namen Revolutionär?
Klinsmann: Ich sicherlich nicht. Ich habe keine Revolution gemacht, sondern Dinge vorangetrieben, um eine Leistungsoptimierung zu erreichen.
Frage: Wer ist für Sie ein Revolutionär?
Klinsmann
reagiert ungehalten) Da halte ich mich raus. Nächste Frage.
Frage: Sind Sie ein Dickkopf?
Klinsmann: Ich bin Schwabe, das kann schon sein. Aber ich bin ganz sicher nicht beratungsresistent, wie es so häufig heißt. Sonst hätte ich nicht so vielen Experten die Verantwortung übergeben.
Frage: Welches Klischee über die USA trifft am wenigsten zu?
Klinsmann
wird zunehmend ungeduldig) Ich mache mir keinen Kopf, was der Deutsche über den Amerikaner denkt. Ich habe schon in fünf, sechs Ländern gelebt, kein Land ist perfekt. Ich nehme die Leute so wie sie sind und nicht wie ich sie haben möchte. Dass man damit nicht weit kommt, habe ich schon am Anfang meiner Karriere in Italien gelernt.
Frage: Was halten Sie vom Beratungsunternehmen McKinsey?
Klinsmann: Doktor Henzler, der ehemalige Europa-Chef von McKinsey, hat auf Vermittlung von Oliver Bierhoff vor der Mannschaft einen Vortrag gehalten über Leistungsbereitschaft im Managementbereich. Ich finde das hochinteressant, da kann man viel rausziehen und lernen. McKinsey hat auch Bayern München unter die Lupe genommen, was Uli Hoeneß auch geholfen hat, den FC Bayern zu einer Weltmarke zu machen.
Frage: Haben Sie eine Haltung zu George Bush und den Irakkrieg?
Klinsmann: Natürlich, nur die öffentlich zu machen als Bundestrainer hätte eine Diskussion über meine Meinung zur Folge, die ich nicht will. Ich diskutiere darüber zu Hause und im Freundeskreis.
Frage: Gerald Asamoah und Patrick Owomoyela wurden zuletzt von Rechtsextremen bepöbelt.
Klinsmann: Das ist Rassismus, der absolut nichts in unserer Gesellschaft verloren hat.
Frage: Was sagen Sie zu den Einbürgerungstests in Deutschland?
Klinsmann
schaut müde) Nächste Frage.
Frage: Haben Sie Arnold Schwarzenegger kennen gelernt?
Klinsmann: Nein.
Frage: Lesen Sie Ihren Kindern Gutenachtgeschichten vor?
Klinsmann: Ja.
Frage: Haben sie Lieblingsgeschichten?
Klinsmann: Die holen sich immer die Bücher aus dem Riesenstapel, mal deutsch, mal englisch. Es gibt keine Lieblingsbücher. Aber es sind aktuelle Bücher und nicht mehr die Geschichte von Rotkäppchen und dem bösen Wolf.
Frage: Rudi Völler sagt über Sie: Wenn bei Ihnen der Bär abgeht, dann richtig, dann kommt deutsches Liedgut zum Einsatz. Haben Sie 1990 gesungen?
Klinsmann: Wir haben nach jedem Spiel schön zusammengesessen bis in die Morgenstunden. (Klinsmann lächelt)
Frage: Ohne zu singen?
Klinsmann: Ja. Aber um zehn Uhr auf dem Platz kam die Grätsche. (Klinsmanns Gesichtszüge entspannen sich, er lächelt) 1996 hatten wir eine Kassette im Bus dabei, Neue Deutsche Welle, da haben wir gesungen. "Eisbär" von Grauzone. Aber was wir richtig gegrölt haben, war "Football's coming home" von Lightning Seeds. Jedes Mal, wenn der Bus losfuhr, haben wir das reingedonnert, und dann ging's echt ab.
Frage: Sind Sie geizig?
Klinsmann: Ich bin sparsam, weil ich so erzogen wurde vom Elternhaus, aber das hat nichts mit Geiz zu tun.
Frage: Welches schwäbische Sprichwort stimmt?
Klinsmann: Ich habe keine Lieblingssprichwörter.
Frage: Welche Fehler darf man in der Backstube nie machen?
Klinsmann: (antwortet sehr schnell, seine Stimme überschlägt sich dabei) Die Brezeln verbrennen lassen im Ofen. Dann kracht's!
Frage: Können Sie mit dem Thema Tod umgehen?
Klinsmann
wirkt unsicher, überlegt sehr lange) Nächste Frage.
Frage: Haben Sie an Karfreitag Fleisch gegessen?
Klinsmann: Nein.
Frage: Weil Sie Vegetarier sind?
Klinsmann: Nein, weil das von Mutter aus so bestimmt worden ist. Karfreitag ist in der christlichen Tradition ein Abstinenztag.
Frage: Ihr Vater Siegfried hat immer gesagt: Bub, mach keine halben Sachen. War das ein Leitmotiv für Sie?
Klinsmann: Ja.
Frage: Ihr Vater kam viel in der Welt herum in jungen Jahren. Genau wie Sie.
Klinsmann: Ja, aber ich weiß nicht, ob das unmittelbar mit dem Vater zu tun hat. Wo wir Kinder aufgewachsen sind, war ja ein Zuhause, da war seine Wanderzeit längst vorbei.
Frage: Aber eine gewisse Neugier hat er Ihnen vermittelt.
Klinsmann: Diese Neugier war immer da. Ob das mit dem Elternhaus zusammenhängt, kann ich aber nicht sagen.
Frage: Können Schwaben etwas besser als andere?
Klinsmann: Nein.