Das aufregendste Spiel der E3-Show in Los Angeles war in einem kleinen Kabäuschen am ATI-Stand versteckt. Besondere Kennzeichen: Lange Warteschlangen und das Bildnis eines gewissen Wissenschaftlers mit Bart und Brille. Im 30-Minuten-Takt öffnete das "Half-Life 2-Theater" seine Pforten und präsentierte das aufregendste Spiele-Spektakel auf dem gesamten Messegelände. Im Vergleich zu unserem Vor-Ort-Termin bei Valve (PC Games 6/2003) gab es viele neue Levels und Spielszenen zu sehen, die unseren Appetit auf den Edel-Shooter noch weiter verstärken.
Physik wird voll ausgespielt
Valve-Boss Gabe Newell persönlich führte durch die Demonstration. Ehrfürchtiges Raunen gleich zu Beginn, als der mysteriöse Regierungsagent G-Man als Model einer Mimik-Vorführung auf dem Bildschirm auftaucht. 40 Gesichtsmuskeln werden simuliert, um eine frappierend echt wirkende Gesichtsausdrucks-Bandbreite zu ermöglichen.
Ähnlich spektakulär sind die Physik-Eigenschaften der Engine. In einem speziellen Demo-Level wurden verschiedene Objekte auf- und übereinander geworfen oder in ein Wasserbecken geschleudert. Holzbretter schwammen dabei auf der Oberfläche, volle Fässer plumpsten dagegen mit einem großen Platsch ins Wasser und sanken auf den Beckenboden. Eine in die Luft erhobene Matratze ließ sich realistisch biegen und knautschen, bevor sie ebenfalls zu ihrem Bad kam.
Newell betonte, dass sich Materialien in der Spielwelt generell so verhalten wie in der Realität: "Wenn etwas aussieht wie Holz, dann hört es sich auch wie Holz an und zersplittert wie Holz, wenn es beschossen wird." Die Technik-Vorführung wurde von einer eindrucksvollen Grafik-Demo abgerundet, in der komplett mit Bump Mapping überzogene Levelwände, spiegelndes, sich sanft kräuselndes Wasser und diverse spiegelnde Objekte für "Oh"- und "Ah"-Ausrufe der Anwesenden sorgten.
Absoluter Höhepunkt war ein transparenter Charakter, der aus fließendem Wasser zu bestehen schien und auch dessen Eigenschaften besaß. Möglich machen dies die "Gebrüder" Vertex und Pixel Shader, die seit der Einführung von DirectX 8 und Geforce3 für Aufsehen sorgen. In Half Life 2 haben diese kleinen Grafik-Progrämmchen jetzt ihren ersten, wirklich rundum überzeugenden Auftritt. Voraussetzung ist natürlich eine Grafikkarte der Geforce3/4-Ti-Fraktion oder technisch gleichwertige Pendants von Ati.
Umgebung ausnutzen
Wie der Action-Spielablauf von all diesen Engine-Eigenheiten profitiert, zeigte Newell dann in einigen konkreten Level-Beispielen. Mit einer Energie-Lenkstrahlwaffe namens Manipulator kann der Spieler Objekte wie Fässer ergreifen und auf Gegner werfen. Der Fantasie sind dabei kaum Grenzen gesetzt, bei einem Kampf mitten in der Stadt grabscht man sich zum Beispiel die einzelnen Buchstaben eines Firmenlogos von der nächsten Gebäudefassade und missbraucht sie als Wurfgeschosse.
In einer anderen Szene rupfte Gordon Freeman mit dem Manipulator einen Heizkörper von der Wand und ließ ihn als Schild vor sich herschweben, um feindliche Kugeln abzuwehren. Zu guter Letzt bekam ein Combine S
oldier die Heizung in die Magengrube geschleudert. Durch die Wucht des Aufpralls stürzte der Gegner in einen hinter ihm stehenden Getränkeautomaten, aus dem dann eine Flut Dosen in die Treppen herunterkullerten.
Fahrer schießt scharf
Ein Straßenkampf-Level demonstrierte Team-Action mit mehreren computergesteuerten Charakteren, allen voran der allseits geliebte Wachmann Barney. Die Verbündeten gingen in Deckung, achteten auf ihre Distanz zu Freeman und forderten an einer Stelle Feuerschutz an.
Für weitere Abwechslung sorgen Fahrsequenzen. Konkret bekamen wir zu sehen, wie Gordon sich ans Steuer eines runtergekommenen Geländewagens setzte, um vor einem Alien-Flugobjekt zu fliehen. Dabei wurde das aufmontierte Bordgeschütz unabhängig von der Fahrtrichtung bedient, um Straßensperren mit Combine Soldiers zu beschießen. Einzelne Gegner ließen sich auch stilvoll mit der Kühlerhaube aus dem Weg räumen. Die Sequenz endete damit, dass Gordon aus dem Wagen sprang, einen Raketenwerfer aufsammelte und damit den Alien-Gleiter abschoss, der bei seinem Aufprall eine Reihe von Autowracks vor sich her schob - wow!
Neubau in City 17
Langsam lichten sich auch mehr Geheimnisschleier um die Story von Half-Life 2. Wir sahen, wie Gordon Newman in einem Labor Alyx Vance und Dr. Kleiner begegnet. Kleiner war seinerzeit der Chef-Wissenschaftler in Black Mesa und verantwortlich für das Experiment, in dessen Folge das Dimensionstor zur Alien-Welt Xen entstand. Er hat die Ereignisse im Vorgängerspiel nicht nur überlebt, sondern arbeitet offensichtlich auch fieberhaft daran, die daraus resultierende Invasion zu stoppen.
In der umkämpften Stadt City 17 treiben sich nicht nur vertraute und neue Monster-Typen herum, eine steil in den Himmel ragende Alien-Zitadelle verletzt zudem alle Bauverordnungen. Das Gebäude wirkt zu allem Überfluss lebendig und expandiert allmählich - welche Schrecken in seinem Inneren lauern, ist noch offen.
Äußerst konkret sind dagegen die Pläne zur Veröffentlichung des Schmuckstücks. Valve ist anhaltend optimistisch, Half-Life 2 bereits am 30. September weltweit auszuliefern. Drei Versionen des Schachtel-Artworks sind geplant, wahlweise zieren Gordon, Alyx oder G-Man die Umverpackung. Obendrein ist eine höherpreisige Collector's Edition mit Bonus-Beigaben in Vorbereitung.
(Heinrich Lenhardt,
Quelle )