Kommentar von Paul Breitner:
Wenn Rudi Völler wirklich so defensiv gegen die Holländer spielen will, wie ich es gestern gehört und gelesen habe, wäre ich schon ziemlich enttäuscht. Das würde bedeuten, sich erneut zu sehr nach dem Gegner zu richten statt auf eigene Stärken zu setzen. Gegen Holland nur auf Konter zu hoffen, ist viel zu gefährlich. Ich plädiere für eine ausgewogene, offenere Variante.
Neben Didi Hamann noch einen Defensivmann zu stellen, etwa Baumann, bedeutet nichts anderes als noch einen „Maurer“ auf den Platz zu holen. Deswegen fehlt er in meiner Startelf – und Nowotny auch. Die Diskussionen der letzten Tage um den Abwehrchef von Bayer Leverkusen waren nicht konsequent genug. In diesem Fall gilt es besonders, zwischen der Person und seiner Position einen Trennungsstrich zu ziehen. Es tut mir weh zu sehen, dass Jens Nowotny nach seinen Kreuzbandverletzungen den Anschluss an die Leistungen des „alten“ Nowotny nicht geschafft hat und damit auf internationaler Bühne nicht mehr wettbewerbsfähig ist.
Schon während des furiosen Bundesliga-Finales von Leverkusen war er nur noch Mitläufer. Der überragende Lucio hat da vieles übertüncht. Aber im Ungarn-Spiel wurde Nowotnys momentane Schwäche sehr deutlich. Er stand schon in der 2. Minute bei der ersten Ungarn-Chance falsch, konnte auch seinen zweiten schweren Patzer vor dem 0:2 nicht mehr wettmachen, weil er seine frühere Schnelligkeit verloren hat. Unverständlich, warum aber allein Hinkel diese Fehler angelastet wurden. Und er statt Nowotny ausgewechselt wurde.
Die Raute – der Torwart, die beiden Innenverteidiger und der zentrale Defensivmann – müssen das starke Rückgrat jeder Mannschaft sein. Wenn in diesem Gebilde einer wackelt, verunsichert er seinen Nebenmann (wie bei Wörns geschehen) und schließlich die gesamte Hintermannschaft.
Deshalb stelle ich Arne Friedrich neben Wörns in die Innenverteidigung und Hinkel auf die rechte Außenbahn. Hinkel kann zusammen mit Frings marschieren oder dichtmachen, dazu auch Friedrich bei dessen Ausflügen absichern. Schneider steht im Moment irgendwie neben sich und deshalb nicht in dieser Startelf. Links können Lahm und Schweinsteiger als Tandem unberechenbar werden nach dem Motto: Fröhlich, frisch und frech.
Ein Wort zu Hamann: Er ist einer der besten Spieler der Welt auf der Position des zentralen Defensiv-Mannes. Das Spiel von hinten raus ordnen, sortieren. Bälle abfangen, Ballack den Rücken frei halten. Aber er soll bloß nicht anfangen, den Chef-Strategen mimen zu wollen! Ball annehmen, Fuß draufsetzen, warten und einen Pass über zwei Meter spielen – das darf es nicht sein. Natürlich soll er manchmal das Tempo rausnehmen. Aber jeder dritte oder vierte Pass muss nach vorn gehen und Gegenangriffe einleiten.
Meine Vorstellung: Kombinationswirbel links und rechts, dazu überraschende Pässe von Hamann – das schafft Freiräume für Ballack und unsere Stürmer. Ich würde von Anfang an auf Podolski neben Kuranyi setzen. Klose hat während der gesamten Saison seine Form nicht gefunden, ist zudem in seiner Spielanlage Kuranyi zu ähnlich. Bobic lebt nur noch von seinem Namen, Brdaric ist ein wertvoller Joker.
Mir geht es nicht darum, ob ein Spieler jung oder alt ist. Sondern darum, ob er gut oder schlecht spielt. Wenn aber der Ältere nicht besser ist als der Jüngere, entscheide ich mich für den, der uns in Zukunft weiterbringen kann.
Nur mit frechem, mutigem Spiel können wir meinen EM-Favoriten Holland besiegen. Auch deswegen vielleicht, weil die Holländer unser Team offenbar als Panik-Orchester betrachten. Dabei könnten sie in der ihnen angeborenen Überheblichkeit übersehen, dass sie sich durch ihre anhaltenden, einfältigen Taktik-Diskussionen selbst schwächen.
Wer am Dienstag gewinnt, kommt bei dieser EM sehr weit. Sollte Deutschland verlieren, ist nach der Vorrunde vermutlich Heimflug angesagt. Was keinen Weltuntergang bedeuten würde – wenn Völler denjenigen Spielern eine Chance gibt zu lernen, die wir bei der WM 2006 brauchen.
Quelle: bild.de
hm die Holländer mit Offensivfussball überraschen? Kann natürlich funktionieren, kann aber auch gewaltig in die Hose gehen. Ich würde eine defensivere Aufstellung bevorzugen. Erstmal hinten sicher stehen, und dann kontern