Wegen Ziege: Böhme fühlt sich "verarscht"
Der Anruf auf dem Mobiltelefon ging gegen 10 Uhr ein an diesem Mittwoch. Christian Ziege (32) wollte soeben in Regensburg sein Auto zur Reparatur abgeben, als ihn der Teamchef berief.
Will nicht nur der Gute-Laune-Onkel sein: Christian Ziege.Der 71malige Nationalspieler packte seine Siebensachen - eigentlich nur drei: "zwei Unterhosen, eine Zahnbürste" - und brach in den Schwarzwald auf. Bester Laune fand er sich ein im "Elztal-Hotel Schwarzbauernhof" in Winden und will seine "Chance suchen".
Im März hatte er mit Rudi Völler seine durch Verletzungen getrübte Lage besprochen: Lediglich zehn Mal war er für seinen ehemaligen Arbeitgeber Tottenham Hotspur in der vergangenen Saison der Premier League eingesetzt geworden, nur drei Mal über 90 Minuten; Verletzungen wie eine Oberschenkel- Operation, Innenbandriss im Knie oder Muskelprobleme stoppten ihn. In der harten Zeit zwischen Krankenhaus, Reha und Ersatzbank motivierte er sich mit dem Ziel EURO, wohl wissend, dass er sich einer dürren Hoffnung hingab.
Denn nach jenem Münchner Treffen hatte er vom Teamchef nichts mehr vernommen, dafür tief enttäuscht die Nichtnominierung registriert. Nun erhielt er doch das Last-Minute-Ticket. "Ich bin topfit", sagt Ziege über Ziege, und sein Landsmann Markus Babbel bestätigt's. Am 8. Mai traf er mit seinem vormaligen Klub Blackburn Rovers auf Ziege, der bei seinem damaligen 79-Minuten-Auftritt "überragend gespielt" habe, "so gut hatte ich ihn selten gesehen".
Wieso verlängerte dann sein bisheriger Klub nicht das Arbeitsverhältnis? Was soll Ziege noch bei der Nationalelf? Ablehnende Bewertungen seiner EM-Berufung können den früheren Linksverteidiger des FC Bayern und des AC Milan nicht schockieren. "Ich weiß, dass ich keine Lobby habe in Deutschland", sagt er und meint, dass er "keinem mehr etwas beweisen" müsse, denn: "Ich weiß, was ich kann. Und Rudi weiß es auch."
Richtig. Völler erinnerte sich an Zieges integrierendes Tun bei der WM 2002. Mit seiner Erfahrung und seiner freundlichen Art solle er "die jüngeren Spieler mitziehen"; Ziege "gibt allen das Gefühl, dass er helfen will". Freilich nicht nur als Gute-Laune-Onkel möchte er unterstützend eingreifen, sondern auch auf dem Fußballfeld.
Dort hat sich mittlerweile aber Philipp Lahm die Rolle links in der Abwehr der Nationalelf gekrallt. Einerlei, sagt Ziege, "ich kann auch mit ihm spielen". Und einen Stammplatz mag er ohnehin nicht reklamieren. Freilich würde es seine berufliche Zukunft durchaus fördern, könnte er sich bei dieser kontinentalen Konkurrenz leistungsstark darstellen. Denn er sucht einen neuen Job für 2004/05, bislang gibt's Anfragen, lediglich jene des FC Bologna (12., Serie A) ist vorerst zu vertiefen. Ziege nahm bereits am gestrigen Training teil und kann sich gute Chancen ausrechnen, gegen Malta als Einwechselspieler zum Einsatz zu kommen. Spielpraxis sammeln soll auch Miroslav Klose, während Christian Wörns die Einheit nach Hüftbeschwerden abbrechen musste und nicht spielen wird.
Wo sich Ziege im siebten Fußball-Himmel fühlt, sind zwei Kollegen enttäuscht, traurig, stinksauer. Christian Rahn vom Hamburger SV verlor seinen Platz wegen eines Muskelfaserrisses, frühestens in zehn Tagen könnte er mit dem Team arbeiten, "das hätte keinen Sinn mehr gemacht", so Völler.
Noch heftigere Gefühlswallungen als Rahn erfassten Jörg Böhme, ebenfalls ein Mann für links. Als er vom kicker erfuhr, dass Ziege nachbeordert wurde, glaubte er sich zunächst "verarscht", "der war doch 15 Monate verletzt". Umso verärgerter reagierte der Schalker, da ihn der Teamchef am vorigen Sonntag angerufen und ihm erklärt habe, "ich solle mich bis 2. Juni fit halten, weil ich der Erste sei, der nachrücke, gerade wegen Rahn". Böhme vermutet: "Da sieht man, wie die alten Seilschaften beim DFB sind. Was soll ich dazu noch sagen?" Er sagte lieber nichts mehr.
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