Kopfstoß? Welcher Kopfstoß?
Von Stefan Domke
Eine Tätlichkeit von Zizou? Sicherlich nur wieder ein italienischer Simulant am Werk, dachte sport.ard.de-Reporter Stefan Domke, der das WM-Finale live als Zuschauer in Block L3, Reihe 17 miterlebte.
Vorweg muss ich zugeben: Ich habe es den Italienern von vornherein nicht richtig gegönnt - auch wenn ich ihr Land und ihre Küche liebe. Aber noch ist die Wunde, die die 119. Minute in Dortmund gerissen hat, bei mir nicht verheilt. Und zu frisch sind meine Erinnerungen an unansehnlichen Mauerfußball in der Vorrunde und eine Portion zu viel Tifosi-Glück im Achtelfinale. Außerdem bin ich ein Freund großer Momente. Und was bitteschön wäre denn schöner gewesen, als die Karriere von Zizou Zidane mit einem zweiten Weltmeistertitel zu krönen?
"Allez les bleus"-umjubelt ins Stadion
Schon auf dem Weg zum Spiel beschleicht mich ein ungutes Gefühl. Auf der Berliner Friedrichstraße treffe ich Alain, einen Franzosen wie aus dem Bilderbuch, der gemeinsam mit drei Freunden und einem lebendigen Hahn die Spiele der Équipe Tricolore bei dieser WM besucht. Doch ausgerechnet beim Endspiel muss der Hahn draußen bleiben, FIFA und Tierschutzbund haben es so gewollt. Kein gutes Omen denke ich, während ich "Allez les bleus"-umjubelt mit der U-Bahn zum Stadion fahre. Vor dem Tribüneneingang noch schnell ein Erinnerungsfoto für die Enkel, dann schnell hinein, schließlich singt Wyclef Jean nicht alle Tage vor Beginn eines Fußballspiels.
Bei uns im klar deutsch dominierten Block sind die Sympathien schon ab der ersten Spielminute klar verteilt. Bereits Zidanes erste Ballkontakte sorgen für Szenenapplaus und als der französische Ausnahmespieler seinen frech gelupften Elfer versenkt, ist die einhellige Meinung: "Das kann nur Zizou so." Meine Sitznachbarin, erklärte Frankreich-Anhängerin, ist dennoch unzufrieden. "Ich dachte, so früh passiert nix", erklärt sie frustriert, als sie vier Minuten zu spät mit Popcorn zum Platz zurückkehrt. Mir geht es beim italienischen Ausgleich nicht besser. Wenn ich mich recht erinnere, hatte ich gerade die geschwungene Dachkonstruktion in Augenschein genommen, als der italienische Jubel meinen Blick zurück auf den Rasen lenkte.
Unwissenheit soll vor Emotionen schützen
Was folgt ist, zumindest von meinem Platz aus betrachtet, äußerst ansehnlich. Und wir, also ich, mein linker Nebenmann und das Pärchen rechts neben mir, hoffen bis zur 110. Minute mit steigender Nervosität, dass Zizou noch ein letztes Mal in seiner Nationalmannschafts-Karriere seine Genialität beweisen wird. Was stattdessen folgt, ist dann jedoch für die meisten Stadionbesucher, gelinde gesagt, sehr verwirrend. Schon wieder, so denke ich, nimmt sich ein italienischer Spieler eine Auszeit und bleibt nach einer Lappalie, vielleicht auch nach einem Gerangel, in rund 120 Metern Entfernung von meinem Platz entfernt am Boden liegen. Auch als der italienische Torwart Buffon wie von der Tarantel gestochen reklamierend auf den Linienrichter zustürmt, bin ich wie die meisten Zuschauer davon überzeugt, dass die Italiener maßlos übertreiben. (Zur Entschuldigung muss erwähnt werden, dass alle kniffligen Szenen und strittigen Schiedsrichterentscheidungen auf den Großbildschirmen im Stadion nicht gezeigt werden. Zu groß ist die Gefahr, dass sonst die Emotionen außer Kontrolle geraten.)
Kopfstoßsimulation in der U-Bahn
Als Zidane das Spielfeld verlassen muss, blicke ich in geschockte Gesichter meiner Nachbarn. Ich sehe ratlose Zuschauer zu ihren Handys greifen, vergewissere mich selbst mit einem Anruf zuhause und will es dennoch nicht glauben: Da muss doch vorher was gewesen sein sonst würde Zizou so was doch nicht machen. So denke anscheinend nicht nur ich, denn bis zum Schlusspfiff wird jeder italienische Ballkontakt mit einem gellenden Pfeifkonzert begleitet. In der U-Bahn auf dem Weg in die Stadt diskutieren dann Fans beider Mannschaften die entscheidende Spielszene. Immer und immer wieder beugt sich ein wild gestikulierender Italiener nach vorne und simuliert einen Kopfstoß auf die Brust des vor ihm stehenden Franzosen. Der schüttelt nur traurig mit dem Kopf. Er kann oder will nicht verstehen. Mir geht es ähnlich.