Ein Spiegel-Online Bericht
Der Blutdurst des Bill Gates
Bei der größten Videospielmesse der Welt drehte sich in diesem Jahr alles um die Zukunft des Wohnzimmers. Die großen Hersteller prahlten mit ihrer zukünftigen Hardware, edle Demonstrationen versetzten Spieler in Entzücken. Wieviel von der Pracht aber real umgesetzt werden kann, ist umstritten.
Der Kampf hat gerade erst begonnen. Die Electronic Entertainment Expo (E3) in Los Angeles hat ihre Pforten geschlossen, die Nachwuchsschauspielerinnen und Models in ultraknappen Science-Fiction-Kostümen sind nach Hause gegangen, die Hardcore-Gamer wühlen sich online durch Gigabytes von Screenshots und Spieledemos. Und die Vertreter der Hardware-Hersteller erklären ihre eigenen Produkte schon mal zum Sieger des Rennens um die Konsolen-Krone der nächsten Generation. Dabei, das ist die eigentliche Botschaft der diesjährigen E3, ist noch gar nichts entschieden im Kampf um die Vorherrschaft auf dem Daddelmarkt - auch wenn die meisten Kommentatoren glauben, einen eindeutigen Sieger der ersten Runde ausgemacht zu haben.
Dass wirklich ein Kampf tobte bei der Messe zeigt sich an Details wie den Stundenplänen, die in den Messe-Mappen der Journalisten steckten. Die Spieleseite "Gamespot" fasst die kleinen Termin-Bosheiten zusammen: Sony habe den Beginn seiner Pressekonferenz vorverlegt, um Microsoft zuvorzukommen, "was bedeutete, dass Journalisten, die danach zum Microsoft-Event wollten, sich abhetzen mussten. Und weil Microsoft seine Party direkt nach seiner Konferenz abhielt, mussten alle Zecher am nächsten Morgen mit einem Kater zu Nintendos Konferenz."
Designstudien für Gläubige
Was die verkaterten Berichterstatter dort zu sehen bekamen, ließ viele unbeeindruckt: Nintendos Präsident Satoru Iwata führte eine Miniversion des bereits seit Jahren erhältlichen Game Boy Advance vor und machte Werbung für die "Revolution" genannte Next-Generation-Konsole - doch der Prototyp, den er präsentierte, war nicht mehr als eine Designstudie ohne Funktion. Die neuen Spiele für den alten Gamecube, etwa eine hübsch anzuschauende Folge der "Zelda"-Reihe, gingen im Kampfeslärm der Hardware-Präsentationen nahezu unter.
"Gamespot" stichelt, mit einem Seitenhieb auf die ergebenen "Fanboys" des japanischen Konsolenveteranen: "Es ist gut, dass Nintendo-Fans Gläubige sind, denn in erster Linie werden sie glauben müssen an Nintendos Next-Generation-Konsole." Für Freunde des Retro-Gaming allerdings haben die Japaner ein Schmankerl anzubieten: Angeblich soll der gesamte Back-Katalog des Herstellers, bis zurück in die 8-Bit-Ära, für die neue Konsole online verfügbar sein. Wie ein gewisser Mike im stets nachdenklichen Blog "GameGirlAdvance" schreibt: "Wenn es irgendetwas gibt, das im Moment für Nintendo spricht, dann ist es seine großartige Bibliothek älterer Spiele".
Microsoft hatte deutlich mehr zu bieten - was schon deshalb zu erwarten war, weil der Daddel-Arm von Bill Gates' Imperium den Start der "Xbox 360" für November angekündigt hat. So bekamen die Besucher von Microsofts Presse-Event einen überlebensgroßen Vordenker J Allard, ein paar launige Sprüche - und eine ganze Reihe durchaus eindrucksvoller Spiele-Demonstrationen. 25 bis 40 Spiele will man bis zum offiziellen Verkaufsstart Ende des Jahres fertig haben, oder doch wenigstens kurz darauf. Insgesamt seien bislang 160 Spiele in Arbeit.
Mit Halo 3 gegen die Playstation 3
Auch eine neue Folge der Bestseller-Ballerei "Halo" ist in Vorbereitung, offenbar mit einem geplanten Starttermin im Frühjahr, der Sonys Playstation 3 die Show stehlen soll. Das Magazin "Time" will bei Bill Gates "Blutdurst" entdeckt haben und zitiert ihn mit den Worten "es ist perfekt: An dem Tag, an dem Sony startet, werden sie direkt in Halo 3 hineinstolpern."
Die eigentlichen Sensationsnachrichten der Messe aber lesen sich wie eine Geheimsprache: "Die GPU wird 128-Bit Pixelpräzision und 1080 p Auflösung beherrschen - Der RSX hat 512 MB Graphics-Render-Memory und kann 100 Milliarden Shader-Operationen und 51 Milliarden Punkt-Produkte pro Sekunde. Er hat auch mehr als 300 Millionen Transistoren."
Die Rede ist hier von Sonys Playstation 3, deren technische Spezifikationen unter Fachleuten für echtes Aufsehen gesorgt haben. Der neue Cell-Prozessor soll alles schlagen, was in näherer Zukunft auf dem Markt zu finden sein wird, auch der Graphikchip wird bereits als Wunderwerk gefeiert. "Als die Sony-Konferenz begann, hatten wir erwartet, etwas zu sehen, das technologisch "ein bisschen besser" sein würde als die Xbox [360]", schreibt die Branchenseite Gamesindustry.biz. "Wir hatten aber nicht erwartet, dass unsere fundamentalen Annahmen darüber verändert werden würden, was Next-Generation-Spiele können werden. Genau das ist aber passiert."
Für alle, die mit Shader-Operationen und Punkt-Produkten nichts anfangen können, hatte Sony bei seinen Entwicklern einen Augen- und Ohrenschmaus bestellt. Die Spieldemonstrationen, etwa für eine Kampfkunst-Orgie namens "Heavenly Sword" oder das Querfeldeinrennen "Motor Storm", sorgten teils für extatische Verzückung, teils für ungläubiges Staunen. Mit Blick auf die Demonstrationen der Konkurrenz, so Gamesindustry.biz, "ist 'deklassiert' ein Wort, das einem ständig einfällt".
"Sony hat bloß Filmtrailer gezeigt"
Ob jedoch all das, was Sony da auffuhr, tatsächlich seinen Weg in die Wohnzimmer finden wird, ist umstritten. Auch bei der Vorstellung seiner Playstation 2 im Jahr 2000 hatte Sony sensationelle Demonstrationen gezeigt, aus denen zum Teil bis heute keine tatsächlichen Spiele wurden. "Sony hat uns bloß hochauflösende Filmtrailer gezeigt", mahnt etwa der Gameblog PennyArcade.
Für besonderes Aufsehen sorgte ein angebliches Gameplay-Demo für ein PS3-Spiel namens "Killzone". Darin sieht man eine futuristische Schlacht-Szene, mit extrem detaillierten Animationen, Lichteffekten und erstaunlich intelligenten Nichtspieler-Figuren - und all das aus der klassischen Perspektive eines Ego-Shooters. Technisch sei die PS3 wohl zu derartigen Kunststücken in der Lage, glauben Experten - aber kaum einer glaubt, dass ein solches Highlight zum Start der Konsole tatsächlich fertig sein wird.
"Ich denke, das Spiel könnte erst dann so aussehen, wenn sie noch mehrere Jahre in die Entwicklung gesteckt haben und wissen, wie man alles aus der PS3 rausholt", kommentiert etwa PS2-Experte Jeremy Dunham vom der renommierten Spiele-Seite des Imagine Games Network (IGN). Das letzte "Killzone" vom gleichen Entwickler war als Kampfansage an Microsofts "Halo" gedacht - und scheiterte nach Meinung der meisten Experten vor allem auf der technischen Ebene jämmerlich.
Dazu kommt, dass die endgültige PS3-Hardware den Entwicklern noch gar nicht zur Verfügung steht. "Wir haben verschiedene Hardware-Varianten", gestand PS3-Entwicklungschef Phil Harrison Gamesindustry.biz. "Je näher man an die endgültige Hardware kommt, je stärker die Entwickler-Hardware dem endgültigen Silizium entspricht, desto näher kommt man der endgültigen Prozessorgeschwindigkeit", so Harrison. Die aber werde noch schneller sein als das, was im Augenblick verfügbar ist.
Die erste Runde des Konsolenkrieges geht also augenscheinlich an Sony - die Xbox360 aber wird früher verfügbar sein, und was die Entwickler wirklich aus der monströsen Architektur der PS3 herausholen können, bleibt abzuwarten. Nintendo hüllt sich noch weitgehend in Schweigen und vertraut auf seine Fanbasis. Wie gesagt: Der Kampf hat gerade erst begonnen.