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Kurz nachdem sich Premiere die Rechte gesichert hat rückt die NASCAR Rennserie völlig zurecht mehr und mehr ins Rampenlicht.
Sie fasziniert Millionen Fans und kassiert Milliarden Dollar vom Fernsehen: Die Nascar-Rennserie ist eine der größten Sportveranstaltungen der Welt - und eine der spektakulärsten. Massenkarambolagen gehören zum Alltag, auch der Tod fährt mit. Der Superstar hört Country.
Jimmie Johnson ist der Traum aller Renn-Veranstalter und Sponsoren. Er ist stets glatt rasiert und hat eine adrette Frisur, er lächelt so freundlich wie ein Gebrauchtwagenhändler und spricht nie schlecht über andere; er raucht nicht und trinkt nicht und er hat die gleichen Vorlieben wie die meisten der 75 Millionen Nascar-Fans, die mehrheitlich im ländlichen Amerika zu Hause sind. Makkaroni mit Käse sind sein Leibgericht, er trägt am liebsten Levis-Jeans und er hört Country-Musik auf seinem ipod.
Doch wenn Johnson, Daytona 500-Sieger und Superstar der amerikanischsten aller Motorsportarten, in seinem Rennwagen sitzt, wird er zu einem anderen Menschen. Seine Konkurrenten haben nicht nur Angst vor ihm, weil er der beste Fahrer ist, sondern auch, weil er als einer der gefährlichsten Piloten der Serienwagen-Meisterschaft Nascar gilt. Nicht nur eine Massenkarambolage ging in den vergangenen Jahren auf sein Konto, er geht mit seiner Gesundheit und der seiner Kollegen noch ein wenig rücksichtsloser um als ohnehin schon branchenüblich. Er habe keine Angst vor Unfällen, sagt er, "weil man ja sowieso nur für einen Sekundenbruchteil mitkriegt, was passiert." Wenn man nur hart genug auf irgendetwas oder irgendwen aufpralle, sagt er, könne man sich hinterher sowieso an nichts erinnern.
Der Tod bringt niemand außer Fassung
Johnson ist die perfekte Verkörperung der Nascar der jüngeren Vergangenheit. Seit sich die einstigen wilden Sandbahnrennen zum zweitgrößten amerikanischen Publikumssport hinter Football gemausert haben, ist ihr Image familienkompatibel und fernsehgerecht. Das Wesen des Sports - das Kokettieren mit dem Tod - ist hingegen geblieben. So hat der derzeitige Boom der Rennserie eine blutige Geburtsstunde: Im Februar 2001 wurde in Daytona Beach die Nascar-Legende Dale Earnhardt mit voller Geschwindigkeit von der Seite gerammt. Earnhardt starb noch an Ort und Stelle.
Earnhardts Schicksal stellte sich paradoxerweise als Glücksfall für die Nascar heraus. Das Rennen, bei dem er starb, war zufällig das erste, das im nationalen Fernsehen zu sehen war. Wochenlang danach war Earnhardt auf allen Magazintiteln; T-Shirts mit seinem Conterfeit wurden millionenfach verkauft.
Der Tod bringt Amerikas Motorsport selten außer Fassung. Als vergangene Woche im Training der Nascar-Konkurrenz Indy-Car der junge Paul Dana mit seinem Konkurrenten Ed Carpenter zusammenstieß und kurz darauf auf der Intensivstation starb, wurde ebenfalls nicht die Frage gestellt, ob das anschließende Rennen ausfallen soll. Schließlich warteten 30.000 Fans auf die Saisoneröffnung der amerikanischen Formel-1-Variante und Indy-Car kämpft ohnehin schon mit einem schwindenden Zuschauerinteresse. "Solche Dinge passieren eben", sagt Indy-Car Teameigner A.J. Foyt und zuckt mit den Achseln.
Das Risiko ist kalkulierter Teil der Show. Und diese Show ist gegenwärtig der größte Renner im US Sport. In den vergangenen fünf Jahren haben sich die Einschaltquoten verdoppelt, gerade erst hat Nascar einen neuen Fernsehrechte-Vertrag über 4,5 Milliarden Dollar abgeschlossen. Die Nationalsportarten Baseball und Basketball sind längst abgehängt.
Rauchen und Saufen
Motor des Booms ist der 43 Jahre alte Brian France. Er übernahm das Unternehmen 2003 von seinem Vater Billy France Junior, nachdem er bereits seit Jahren als Marketingchef mitgearbeitet hatte. Billy Juniors Vater Big Billy hatte wiederum Ende der Vierziger Jahre die whiskeyseligen Mondscheinrennen mit selbst frisierten Kisten zu einer Serie zusammengefasst. Sein Enkel hat Nascar jetzt zu einem der weltweit erfolgreichsten Sportunternehmen gemacht.
Im Grunde tat Brian France nur zwei Dinge - er konsolidierte die lokalen Fernsehdeals der über den Süden und Mittelwesten verstreuten Rennen zu einem Paket fürs nationale Fernsehen. Das Angebot rundete er ab, indem er eine Art Playoff-Serie der besten Fahrer einführte. Diese legte er geschickt auf den November, genau den Zeitraum, in dem in keiner anderen amerikanischen Sportart etwas Entscheidendes passiert.
Mit dem Wachstum hat sich auch das Gesicht von Nascar verändert. Die Kultfigur der ersten Generation war in den fünfziger Jahren Curtis Tucker. Tucker trat immer im Seidenanzug an, stieg nie ohne eine Zigarette im Mundwinkel in das Auto und ganz selten nur nüchtern. "Wenn er eine Whiskeyflasche aufmachte, schmiss er immer sofort den Drehverschluss weg", schreibt sein Biograf Robert Edelstein. Tucker fuhr immer wild und immer aggressiv und die Rennen endeten meist sowohl in einer Karambolage als auch in einer Schlägerei.
Den rauchenden, saufenden Tucker könnte man freilich dem nationalen Fernsehpublikum und den Werbekunden heute nicht mehr anbieten. An dem, was sich auf der Bahn abspielt, hat sich zwischen Tucker und Jimmie Johnson jedoch nur wenig geändert.