Sehr lesenswerter Artikel aus der FAZ :
Anfang September dieses Jahres saß David Letterman, der Vater aller Late-Night-Talker, auf seinem Schreibtischstuhl, ätzte wie gewohnt in die Kamera, giggelte und ließ seine Augenbrauen hoch- und runterwandern. Doch dann sank sein Kopf in seine Hand und sein Ton wurde leise.
„Ich habe etwas mitzuteilen. Und ich bin ehrlich mit Euch, ich bin ein wenig nervös. (...) Ich fühle mich ein bißchen blöd, weil es um eine Sache geht, von der ich dachte, daß sie in meinem Leben nicht passieren würde. Da bin ich nun 56 Jahre alt - bei allem was recht ist. (...) Ich bin wegen dieser Sache wahnsinnig aufgeregt. (...) Ich werde Vater.“
David Letterman lächelte - mehr in sich hinein als Richtung Kamera. Eine gelungene Inszenierung seiner Gefühle? Gewiß, aber wie es so ist mit Gefühlen, entwickeln diese zuweilen eine Eigendynamik. Als sein Publikum kräftig applaudierte und mit den Füßen stampfte, errötete sein Gesicht. Letterman, der große Zyniker, zeigte Rührung. Und seine Zuschauer im Studio und daheim, für die er seit Jahren das ausspricht, was sie nicht in Worte fassen können, fühlten mit ihm.
Darf man nach Big Brother noch Gefühle zeigen? Darf sich der Prophet der deutschen Spaßgesellschaft nicht leisten, was seine amerikanische Ikone kann? Warum verabschiedete sich Harald Schmidt nach seiner letzten regulären Late-Night-Show mit einem bemüht lapidaren „Dankeschön und tschüß“?
Keine Frage, diese letzte Show war grandios, dramaturgisch so konstruiert wie sonst seine Stand-ups. Schmidt ließ beim „Festmahl mit Sülze“ (Schmidt) beim „Power-Sender Sat1“ (Schmidt) alle Erwartungen ins Leere laufen: „Piano“, „Im Endspiel nicht die Taktik wechseln“, „Kein falscher Ehrgeiz“. Während bei anderen alles gleich ganz kultig ist, zelebrierte Schmidt sein Ende mit dem Spannungsbogen von Becketts „Warten auf Godot“- selten plätschert es so intelligent im deutschen Fernsehen. Mit der Liebe zum Detail:
- Schmidt ist, wenn der Wasserträger Jauch heißt - und wirklich nur das Wasser reichen darf, keinen Piep sagt, sich nicht auf die Couch flätzt und auch am Ende nicht zum Bye-Bye auf die Bühne kommt.
- Schmidt ist, wenn die Personalie Anke E. mit lobenden Worten kommentiert wird und später der versteckte Ratschlag folgt: „Es muß ja nicht immer neu sein, solange es trägt.“
- Und Schmidt ist auch, wenn ein Zuschauergast (sehr, sehr investigativ) Schmidts Begründung für seinen Abtritt hinterfragt („Von wegen Kreativpause. Wohl mit der neuen Geschäftsführung nicht so ganz einverstanden?“), obwohl der so Attackierte doch schon vorher die Antwort gegeben hat, als einen Ballon mit großen Sat1-Lettern aufblies, der dann, nachdem er wenig elegant durchs Studio trötete, sich luftleer zu Boden ließ.
- Schmidt ist schließlich, wenn die von Franz Schubert vertonte und Wilhem Müller verfaßte „Winterreise“ zitiert wird: „Fremd bin ich eingezogen, fremd zieh' ich wieder aus.'' Sentimentalität bleibt bei Schmidt eine Andeutung.
Im Kern ist er ein Fremder geblieben, weil er es so wollte. Aus wohlverstandenem Selbstschutz, aus notwendiger Arroganz, vielleicht auch aus einer Mischung aus Unfähigkeit und Widerwillen. Die Beziehung zwischen Schmidt und der deutschen Spaßgesellschaft war eine höchst asymmetrische.
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