Schmidt happens
Diese Woche kehrt Harald Schmidt in die ARD zurück. Der Fernseh-Großverdiener kann in seiner alten und neuen öffentlich-rechtlichen Heimat nun machen, was er will - und bekommt dafür sehr viel Geld und Rechte eingeräumt. Warum eigentlich?
Der Erlöser kommt in diesem Jahr etwas früher, am 23. Dezember. Seine Gage wird allerorten auf mindestens acht Millionen Euro geschätzt. Doch trotz des Frühstarts gestalten sich konkrete Details seiner Heilsversprechen Anno Domini 2004 offenkundig schwierig. Oder schlichter: Der Vertrag ist bislang nicht unterzeichnet.
Vielleicht ist die Zahl der garantierten Wunder noch nicht geklärt. Oder die Frage der Hörfunk-Zweitverwertungsrechte. Man weiß es nicht so genau, denn der Erlöser selbst weilte bis Ende vergangener Woche auf Weltreise und gewährt keine Interviews vor seiner Niederkunft, die ohnehin eher eine Wiedergeburt werden soll. Im Prinzip geht es nämlich nur um eines:
Harald Schmidt kehrt ins Fernsehen zurück - und zwar zur ARD. Vor und nach so einem Satz muss man den Leuten und vor allem den Feuilletons in diesem Land noch immer eine Zeile Atempause gönnen, als würden sie gerade erfahren: John F. Kennedy lebt - und zieht nächste Woche in eine Kölner Senioren-WG.
Entsprechend japsend fiel die Begeisterung aus. "Welcome back, Herr Schmidt. Es ist gut, dass Sie zurückkommen", beschwor die "taz" die "TV-Sensation des Jahres" ("Bild"), "als kehre ein Sinnstifter zurück" ("Welt am Sonntag").
Im allgemeinen Apotheose-Rummel wäre jetzt nur noch frei: "Heiland Harald - reloaded" oder "Jesus Schmidt Superstar". Denn auch göttliche Vergleiche waren schnell vergriffen, als der Star vor genau einem Jahr Sat.1 und seine dortige Late-Night-Show verließ.
Mein lieber Scholli, war das ein Wehklagen, als Schmidt damals der Welt verkünden ließ, er werde nun eine einjährige Kreativpause einlegen: O Gottogottogott, was sollte aus der Republik werden? Dankt die Bundesregierung ab? Schmelzen die Polkappen? Wankt die Menschheit dem Ende entgegen? Alles schien möglich.
Gott hatte einfach keine Lust mehr. Er war ausgebrannt. Bis zur letzten Darmspiegelungsanekdote hatte er sich und seine Fernsehfamilie ausgesaugt. Da traf es sich gut, dass der damalige Sat.1-Chef gerade rausgeworfen wurde. So konnte sich Schmidt erfolgreich nicht gegen das Gerücht wehren, er würde in Reue fest zu seinem alten Chef stehen und nicht etwa aus Geld- oder Langeweile-Gründen abdanken.
Es ging dann zwar doch irgendwie weiter mit Menschheit und Republik. Aber jede Gastauftritt-Rarität des Heiligen Harald wurde fiebrig begleitet. Wenn Schmidt ein paar Kabarett-Abende gab: Aaah! Wenn er zu einer Kunstaktion ins Kölner Museum Ludwig kam: Oooh! Und wenn er im Berliner Ensemble brühwarm jenen ersten brieflichen Annäherungsversuch rezitierte, den ihm ARD-Chef Jobst Plog geschickt hatte: Iiih!
So etwas macht eigentlich selbst eine "Mediennutte" (Schmidt über Schmidt) nicht, wenn sie Anstand hat. Man tritt nicht dem Freier ins Gemächt, während der noch nicht mal um den Preis feilscht. Das klingt jetzt zu flach? Dieses Niveau war häufiger zu beobachten.
Auf die Frage, ob er sich irgendwann wieder bei der ARD vorstellen könnte, sagte Schmidt im Sommer 2003: "Wenn Sie mal Claudia Schiffer gebumst haben, ziehen Sie auch nicht mehr zu Ihrer Mutter."
Nun also kehrt er heim in den Schoß von Mama ARD, der er weiland viele Kinder untergejubelt hat. Sie hießen "MAZ ab!" oder "Pssst ..." oder "Schmidteinander" und begründeten Schmidts Ruf und Marktwert als irrlichternder Bildungsbürger der deutschen Unterhaltungsbranche. Dann ruinierte er noch "Verstehen Sie Spaß?" und verabschiedete sich schließlich für acht lange Jahre zu Sat.1.
Am Anfang stimmten weder Quoten noch Kritiken. Schmidt gab den Dirty Harry. Aber allmählich wandelten sich Prolet und Perzeption. Der Entertainer spielte mit Playmobil-Figuren "Hamlet" nach. Er verteilte Reclam-Heftchen ans Publikum und ließ deutsche Klassiker vergewaltigen.
Der Minimalismus war den Fans recht und für Schmidt billig. Gelegentlich saß er nur rum und schaute der teuren Sendezeit dabei zu, wie sie sinnfrei zertropfte. Solche Momente verklären sich in der Erinnerung zu Höhepunkten deutscher Fernsehunterhaltung und kaschieren, dass Gott gelegentlich einfach unambitioniert wirkte.
Aber wie das mit Religionen so ist: Glaube versetzt Zwerge. Und irgendwann glaubten alle: Fangemeinde, Feuilletons und Finanziers. Auch Mediaplaner, die die Millionen-Etats der Wirtschaft kanalisieren, sind nur Menschen. Sie freuten sich, wenn Schmidt für sie bei gelegentlichen Sat.1-Empfängen oder Telemessen den Zampano machte. Ich Zuhälter, du Mediennutte. Hohoho! Schmidts Zynismus war salonfähig geworden und lieferte Image. Das ist letztlich unbezahlbar.
So landet er nun wieder in der ARD, die Image nötig hat und gern bereit ist, die alte, sehr gegenseitige Hassliebe zu den Akten zu legen. Nur: Wie will der verlorene Sohn die welke Mutti reanimieren?
Erster Anruf bei der Pressestelle des federführenden WDR. Öhm, ja, da könne man jetzt nicht viel sagen, weil für Schmidt die ARD-Programmkoordination in München verantwortlich sei. Dort sitzt Herr Röver und sagt, dass ihm das ein bisschen unangenehm sei, "zu 90 Prozent sagen zu müssen: Ham wa nicht, kriegen wa nicht, geht nicht".
Wer etwas zu Schmidt wissen wolle, müsse dessen Managerin anrufen. Wer sich für Vertragsdetails interessiert, sollte sich an die ARD-Filmhandelstochter Degeto in Frankfurt wenden, die den Deal mit dem Schmidt-Bekannten Fred Kogel eingefädelt hat, als sei der Entertainer der ARD einfach so passiert. Schmidt happens.
Der Vertrag sorgt inzwischen für ziemlichen Wirbel. Erstens wegen des Vorwurfs, er sei an den sonst eingeschalteten Gremien vorbei verhandelt worden. Zweitens, weil es um den Gral der Gebührengelder geht, die - drittens - ja irgendwo anders abgezwackt werden müssen. Es ist völlig wurst, ob es um sechs oder zehn Millionen Euro geht, und wie viel davon wirklich bei Schmidt hängen bleiben. Er wird zu den absoluten Spitzenverdienern der ARD zählen.
Manuel Andrack gibt sich keinen Illusionen hin. Beim gemeinen "Bild"-Leser käme angesichts der aktuellen Debatte nur an: "Dat Arschloch steckt sich die Taschen voll." Andrack ist dem Schmidt-Publikum als stichwortgebendes Schmunzelmonster bekannt, versprühte diesen Ich-bin-der-Manuel-Sozialpädogik-Charme und verkostete jede Nacht in der Show ein anderes Bier. Er war auch Schmidts Redaktionsleiter.
Nach dem Abschied hat er mit ihm eine Kabarett-Tournee absolviert, als Hausmann die Zeit totgeschlagen und ein Buch geschrieben, das noch nicht erschienen ist. Es heißt "Du musst wandern. Ohne Stock und Hut im deutschen Mittelgebirge". Nun sitzt er wieder im Studio 449 in Köln-Mülheim und bereitet auch die eigene Rückkehr vor.
Es ist Mittwoch. Schmidt soll noch in Singapur sein. Am Montag dieser Woche wird er erstmals im Büro erwartet. Andrack hat ihn das letzte Mal im September gesehen.
Neben seiner Bürowabe werkeln die Techniker an der neuen Dekoration eines deutlich kleineren Studios. Es ist alles ziemlich geheim. Es soll ja wenigstens das öffentlich-rechtliche Abendland retten. Und natürlich wird Schmidt mit einem bunten Strauß genialer Ideen aus der Kreativpause zurückkommen, die etwa so aussehen:
Früher produzierte er eine fünfmal pro Woche laufende einstündige Sendung namens "Die Harald Schmidt Show" mit diversen Gästen. In der Mitte saß Schmidt, rechts Andrack. Ab 19. Januar wird er zweimal pro Woche eine halbstündige Sendung namens "Harald Schmidt" produzieren, ohne diverse Gäste. In der Mitte wird Schmidt sitzen, rechts Andrack.
Die alte Backstein-Optik des Studios weicht cremigen Gelbtönen. In den Bücherregalen werden ARD-Jahrbücher stehen. Das Orchester heißt nicht mehr Band, sondern womöglich Klangkörper. Und Schmidt nennt sich künftig "Intendant", während Andrack den "Chefdramaturgen" gibt, der nun die Premiere am 23. Dezember vorbereitet. Sie wird eine Viertelstunde länger und soll eine Art Jahresrückblick werden, die kein Jahresrückblick ist. So in der Art: Chef, weißt du eigentlich, was in dem Jahr deiner Abwesenheit in Deutschland so abging?
Andrack lächelt. Er weiß, wie seine Erklärungen wirken müssen. Die Welt erwartet eine Revolution, und heraus kommt Totensonntag? "Natürlich erfinden wir Schmidt nicht neu. Aber er wird konzentrierter sein - Schmidt Megapearls sozusagen. Das ist ein Langfrist-Projekt bis zur Fußball-Weltmeisterschaft 2006."
Andrack arbeitet seit Jahren für Schmidt. Er kennt ihn. Er verehrt ihn. Er beschreibt ihn nicht als Menschen, sondern als Marke. Nur wofür steht diese Marke - außer für andere Marken wie Nescafé, Hexal, Deutsche Bahn oder Karstadt, die Schmidt bewarb?
Wer ist dieser Mann? Ein Zyniker? Ein Ausländerwitze-reißender Zündler? Ein Menschenfeind? Schmidts Geheimnis ist womöglich, dass es keines gibt. Dass die Masken, Fratzen und Karikaturen, die er sich überstülpt, keine sind. Dass sie nur Facetten der giftigen Wahrheit zeigen. Wer glaubt schon einem Bösewicht, der dauernd sagt, er sei böse, seine Bösartigkeit?
Die Medienkritiker haben sich anlässlich der Schmidt-Beerdigung vor einem Jahr völlig verausgabt in der Heiligsprechung der vermeintlichen Schmidtschen Ironie. Was werden sie nun tun? Es ist, als säßen sie noch angeschickert beim Leichenschmaus. Plötzlich geht die Tür auf, und der Tote steht braungebrannt am Tisch. Das kann für peinliche Irritationen sorgen. Andrack rechnet durchaus mit dem Schlimmsten.
Dann zieht er eine dicke Schwarte aus dem Regal und liest vor: "Bericht der ARD über die Erfüllung ihres Auftrages, über die Qualität und Quantität ihrer Angebote und Programme sowie über die geplanten Schwerpunkte". Darin heißt es: "Die Talkshow-Moderatoren der ARD werden ihren Gäste auch in Zukunft mit Respekt begegnen und ihre Würde achten." Deshalb gehe das mit den Gästen gar nicht mehr. Er lächelt wieder.
Wenn Andrack Sat.1 erwähnt, redet er nur noch vom "kommerziellen Anbieter", für den er einst tätig war. Er hat die Grundprinzipien seines neuen Arbeitgebers schon inhaliert, möchte aber die notwendige ironische Distanz beibehalten, die dann umso angestrengter wirkt.
Er und sein "Intendant" sind jetzt ARD-Gesichter. Wie Karl Moik. Wie Jürgen Fliege. Wie Reinhold Beckmann. Sie sind jetzt "Grundversorgung" wie "Musikantenstadl", "Marienhof" oder "Brisant".
Und ihr Job wird nicht dadurch erleichtert, dass Quote zunächst keine Rolle spielt. Oder dass wichtige ARD-Menschen wie Programmchef Günter Struve geradezu masochistisch darauf warten, von der eigenen Neuerwerbung als Knallchargen abqualifiziert zu werden, wenn es zum ersten Mal heißen wird: "Hier ist das Erste Deutsche Fernsehen mit Harald Schmidt."
Dieser Vorspannsatz ist eine Idee des zuständigen WDR-Unterhaltungsredakteurs Klaus Michael Heinz. Herr Heinz ist 43 Jahre jung und hat Neuere deutsche Literatur und Kunstgeschichte studiert, Philosophie und Theaterwissenschaften. Er ist seit 14 Jahren beim WDR. Er trägt eine runde Hornbrille und das lockige Haar offen. Er ist stolz auf den Satz.
Herr Heinz weiß, dass er mit Schmidt einen Aufreger betreut. Aufgeregt wäre er allerdings nur, wenn sich niemand aufregt. In seinem Kölner Büro hängt der gerahmte Kopf seines WDR-Intendanten Fritz Pleitgen vor blassblauem Hintergrund, wie man ihn von alten Honecker-Fotos kennt. Herr Heinz findet das lustig. Er lächelt wahrscheinlich schon viel länger so süffisant wie Herr Andrack.
Aber diese artifizielle Selbstironie, dieses altersmilde Huahua-wir-nehmen-unsdoch-hier-selbst-nicht-ernst kann einem noch mehr auf die Nerven gehen als jede Gebührendebatte. Das ist keine Frage der Vorgeschichte oder der Vertragshöhe oder gar der Moral. Die wirkt nicht nur uncool, sie wäre sogar fehl am Platz, denn der Fernsehmarkt lebt wie jeder andere von Angebot und Nachfrage. Wenn jemand bereit ist, für 64 Halbstunden-Shows pro Jahr plus/minus acht Millionen Euro zu bezahlen, dann ist das vielleicht für den einen oder anderen Hartz-IV-Kandidaten schwer nachvollziehbar, aber Marktwirtschaft. Auch wenn der Pointenpreis damit locker die Höhe eines Verkäuferinnen-Monatslohns übersteigt.
Der Fall Schmidt liegt deshalb anders, weil sich da zwei Größen des Unterhaltungsgewerbes zusammentun, für die nicht einmal der Mechanismus des Marktes gilt: Schmidt wird für kaum nachprüfbare Image-Effekte reich belohnt. Er ist ein Phantasiewert wie Internet-Klitschen früher an der Börse. Und die ARD ist die einzige Anstalt, die das noch ausgeben will und kann, weil sie ihre Gebührenmilliarden trotz allen Gejammers sicher hat.
Schmidt bekommt für viel Geld eine sehr große Bühne, auf der er dann noch mehr Geld machen kann: Seine neue Bildschirm-Präsenz bringt Werbeverträge, DVD-Deals, Gast-Gagen, Merchandising-Einnahmen etc. Im Gegenzug bekommen die ARD-Oberen schon glücksfeuchte Augen, wenn ihr neuer Alt-Star künftig nach den "Tagesthemen" das Telefonbuch von Wanne-Eickel aufsagt oder ihren großen Apparat inklusive Korrespondentennetz abzapft.
"Der Parasit hat den Wirt gewechselt", maulte der damalige RTL-Chef Helmut Thoma, als Thomas Gottschalk 1995 sein Intermezzo bei dem Kölner Sender beendete, um zu Sat.1 weiterzuziehen. Wobei man Gottschalk da jetzt unrecht tut, weil der wenigstens für richtig pralle Quoten sorgt.
Gottschalk ist ohnehin der Gute. Nun kehrt das Böse zurück. Es wird lächeln.
Sehr guter Artikel! Noch knappe 53 Stunden. He's coming home.
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