Istanbul - Die skandalösen Jagdszenen nach dem Happyend in der EM-Qualifikation werden wohl ein Nachspiel haben.
Die Uefa werde die Vorkommnisse untersuchen, wie am Mittwochnachmittag ein Sprecher ankündigte. Nach seinen Angaben wird sowohl gegen den türkischen Verband als auch gegen Spieler ermittelt.
Geldstrafe und auch Platzsperre
Ein Urteil soll am 4. Dezember die Uefa-Disziplinarkommission fällen. Der Türkei droht eine hohe Geldstrafe und wahrscheinlich auch eine Platzsperre.
Das Nachwuchs-Team des DFB hatte die Feuertaufe in der "Hölle am Bosporus" mit Bravour bestanden, die EM-Endrunde 2004 erreicht und Kurs gesetzt Richtung Olympische Spiele in Athen.
Stielike geschockt: "Haben wir hier Krieg"
Doch die Prügelszenen, die sich nach dem 1:1 (0:0) im EM-Playoff-Rückspiel gegen die Türkei abspielten, werden die Helden von Istanbul wohl ihr Leben lang nicht vergessen.
"Haben wir hier Krieg?", rief DFB-Trainer Ulli Stielike tief erschüttert und rang noch eine halbe Stunde nach Schlusspfiff in den Katakomben des Sükrü-Saracoglu-Stadions von Fenerbahce Istanbul um Fassung.
Nach dem Ausgleich brachen alle Dämme
Der Schreck wich nur langsam aus den Gesichtern und machte einem Siegerlächeln Platz, dass es im deutschen Junioren-Fußball schon lange nicht mehr zu sehen gab.
Als Stürmer Benjamin Auer vom FSV Mainz 05 in der Nachspielzeit zum 1:1 ausgeglichen und damit nach der Führung des Schalkers Hamit Altintop (69.) und dem 1:0-Sieg im Hinspiel das Aus der Türken besiegelt hatte, brannten nicht nur den zahlreichen fanatischen Fans unter den 45.000 Zuschauern alle Sicherungen durch.
"Das schlimmste Spiel meines Lebens"
"Spieler von uns sind von Polizisten und Sicherheitskräften geschlagen worden. Der eine blutet, der andere hält sich in der Kabine ein Handtuch an den Kopf", berichtete Stielike.
"Mir hat ein Polizist vors Bein getreten", sagte Matchwinner Auer, der sein 13. Tor im 19. U-21-Länderspiel mit dem Oberschenkel erzielt hatte. Trotz des glücklichen Endes sprach Abwehrspieler Maik Franz, dem ein Ordner mit einem Walkie-Talkie aufs Ohr geschlagen hatte, vom "schlimmsten Spiel meines Lebens".
Auch nach der Ankunft in Düsseldorf am Mittwoch waren die Spieler noch schockiert über die Vorfälle. Tim Wiese sagte: "So etwas habe ich noch nicht erlebt. Mike Hanke hat eine Platzwunde erlitten."
Auch der Schiedsrichter bekam etwas ab
Nicht nur einige deutsche Spieler, sondern auch den tschechischen Schiedsrichter Michal Benes traf eines von unzähligen Wurfgeschossen, die nach dem Ausgleich und dem unmittelbar darauf folgenden Schlusspfiff auf den Rasen prasselten.
DFB-Arzt Dr. Michael Preuhs leistete erste Hilfe und nähte die klaffende Kopfwunde des Referees. Stielike: "So etwas habe ich noch in keinem Stadion der Welt erlebt."
Aber auch Türkeis Torschütze Hamit Altintop zeigte sich geschockt. "Wenn sich Polizisten wirklich Übergriffe geleistet haben, dann ist das bitter für das türkische Volk", so der Schalker.
Platzsperre droht
Der türkische Verband muss nun mit eine drakonische Strafe durch die Uefa rechnen. Möglich erscheint eine Platzsperre und hohe Geldstrafe. Die Attacken auf die deutsche Mannschaft und den Unparteiischen hatten Spuren hinterlassen - auch bei Stielike.
Erst als Teamchef Rudi Völler ihm herzlich auf die Schulter klopfte und DFB-Präsident Gerhard Mayer-Vorfelder via Telefon gratulierte, fiel die Anspannung vom U-21-Coach allmählich ab.
"Trampolin für 2006"
"Dass wir bei der EM dabei sind, ist wunderbar. Die Endrunde, die ja vielleicht sogar in Deutschland stattfindet, ist ein unheimliches Trampolin, auch im Hinblick auf die WM 2006", meinte der Europameister von 1980.
Völler stimmte ihm zu: "Das war ein Highlight. Ich freue mich, dass es geklappt hat. Das macht Hoffnung, dass unabhängig von diesen beiden Spielen der eine oder andere noch einen weiteren Schritt nach vorne macht."
"Rang drei ist drin"
Stielike wurde da schon viel konkreter. "Wenn du die Türken raushaust, ist bei der EM auch Rang drei und damit die Olympia-Qualifikation möglich - vorausgesetzt, wir haben keinen weiteren personellen Aderlass", meinte der 49-Jährige.
Doch dass Stielike nach Andreas Hinkel und Kevin Kuranyi eher früher als später weitere Spieler an Völler abgeben muss, weiß er nur zu gut: "Ich gehe davon aus, dass Philipp Lahm der Nächste ist, der in die Nationalmannschaft kommt."
Der Jüngste wieder einer der Besten
Das "Nesthäkchen" im Team, eigentlich noch U-20-Nationalspieler, knüpfte in beiden Spielen nahtlos an die hervorragenden Leistungen an, die er schon seit Wochen beim VfB Stuttgart zeigt.
Auf die Prognose von Stielike angesprochen, nickte Völler mit dem Kopf und meinte nur vielsagend: "Philipp hat in beiden Spielen gezeigt, dass er eine tolle Karriere sich hat."
Lahm will erst mal zur "kleinen" EM
Doch zunächst rechnet Linksverteidiger Lahm ("Eine solche Entwicklung hätte ich mir nicht träumen lassen") mit seinem Einsatz bei der U-21-EM, die vom 27. Mai bis zum 2. Juni 2004 und damit noch vor der "großen" EM in Portugal (12. Juni bis 4. Juli) stattfindet.
Der DFB hat sich um die Ausrichtung des Turniers vom 27. Mai bis 8. Juni 2004 der besten acht Teams beworben.
Quelle: sport1.de