Bronson
Neuling
Spiegel-Online
"Die Entwickler werden den Hintern versohlt bekommen"
Allard gehört zu den Vätern von Microsofts Xbox-Spielkonsole. Er weiß auch schon, wie die heiß erwartete nächste Generation der Spielekisten aussehen wird. Mit SPIEGEL ONLINE sprach er über Spiele im Format von Fernsehserien, über hochauflösendes Gaming, über seinen VW Käfer - und über die Fehler der Spieleindustrie.
Xbox-Mastermind J Allard
J Allard gehört zu den Vätern der Xbox, einer kleinen Gruppe von Microsoftangestellten, die die Konsole zunächst auf eigene Faust entwickelten. Er arbeitet seit seinem Hochschulabschluss 1991 für das Unternehmen. Innerhalb des Konzerns hat er auch an verschiedenen Internetanwendungen gearbeitet. 2003 wählte ihn "The Hollywood Reporter" unter die "Top 35 Entertainment Executives Under 35".
SPIEGEL ONLINE: Mr. Allard, in ihrem Vortrag bei der Game Developers Conference haben Sie einen Atari-Werbespot aus den frühen Achtzigern erwähnt. Darin versammelten sich alle Generationen um einen Fernseher, um Videospiele zu spielen - doch das ist immer noch Science Fiction. Oder spielen Ihre Eltern Videospiele?
Allard: Nein, die spielen PC-Spiele. Mein kleiner Bruder schreibt sogar einfache Spiele, so wie Solitaire, und sie werden richtig süchtig danach. Xbox Arcade - Arkadeklassiker, die Sie aus dem Internet herunterladen können - ist ein erster Versuch, ein Hinweis darauf, wo wir mit unserer nächsten Konsole hinwollen, um sicherzustellen, dass dieses Publikum diese Art von Spielerfahrung nicht verpasst. Das Lustige an dem erwähnten Werbespot ist: Der einzige, der kein Videospiel spielt, ist der 19jährige Pizzabote - und dass ist die Zielgruppe, für die wir heute Spiele machen.
SPIEGEL ONLINE: Heute sind Leute, die vor 25 Jahren mit Atarikonsolen spielten, in ihren Dreißigern oder Vierzigern. Videospiele sind aber immer noch nicht als ein Medium unter vielen akzeptiert. Stattdessen sind sie der bevorzugte Sündenbock für verschiedene Verbrechen und Dinge, die schief laufen. Wie erklären Sie sich das, und wird es sich je ändern?
Allard: Es gibt mehrere Gründe dafür. Einer ist, dass das Medium für die Allgemeinheit nicht so zugänglich ist wie andere. Nehmen Sie Bücher: Wie sozial akzeptiert ist es, herumzuhängen und Shakespeare zu lesen? Nicht viele Leute machen das, weil es einem einiges abverlangt. Sehr lange Geschichten, schwer zu lesen, nicht in der Sprache geschrieben, die uns vertraut ist - passt eigentlich nicht in die moderne Kultur.
Es ist schwieriger, für 30 oder 40 Minuten ein Spiel zu spielen, als fernzusehen, in einer Zeitschrift zu blättern oder ein Buch von John Grisham zu lesen. Wenn wir Spiele ein bisschen leichter konsumierbar machen, wird Gaming eher sozial akzeptiert werden.
Noch mal: Denken Sie an Solitaire. Keiner denkt, dass das so was Schlimmes ist. Keiner sagt, Solitaire habe die Produktivität oder das Bruttosozialprodukt reduziert - dabei hat es der Produktivität am Arbeitsplatz wahrscheinlich mehr geschadet als jedes andere Spiel. Aber diesen Zusammenhang stellt niemand her, weil das Spiel einfach zu konsumieren ist und jeder einen Zugang dazu finden kann.
Wir machen unsere Spiele zu "schwer". Sie sind wie "Krieg und Frieden" oder Shakespeare oder ein Vier-Stunden-Film. Pong war für jeden etwas. Es gestattete, die Lücken mit Phantasie zu füllen, und man brauchte bloß zehn Minuten zum Spielen. Und einen Partner. Davon sind wir heute weg: Man spielt alleine, und muss riesige Mengen Zeit investieren.
Wir selbst sorgen also dafür, dass Gaming nicht jedermann erreicht. Die Leute haben keine Zeit, und wenn sie mal freie Zeit haben, wollen sie die nicht alleine verbringen. Wann haben Sie bei Halo oder Grand Theft Auto (GTA) zum letzten mal nach einer Stunde den Controller an jemand anderen weitergereicht? Heutige Spiele sind dafür gemacht, den Spieler in ihrer Welt festzuhalten - das sollten wir aufbrechen!
SPIEGEL ONLINE: Für die nächste Konsolengeneration planen Sie Titel, die 20 Millionen mal und mehr verkauft werden sollen - was für eine Sorte Spiel soll jemals in der Lage sein, solche Zahlen zu erreichen?
Allard: Wir brauchen Spiele, die althergebrachte Vorstellungen aufbrechen. Nehmen Sie Myst - eine Menge Leute waren der Meinung, das sei gar kein Spiel. Es hatte ein sehr simples Interface, man konnte nicht hängen bleiben, es war sehr kopflastig. Heute sind die Bezugspunkte fürs Game-Design die Antithese davon. Warum orientieren wir uns nicht an den Sims, wo Personalisierung alles ist? Warum orientieren wir uns nicht an GTA, einem Spiel, in dem es nicht einen Anfang, eine Mitte und ein Ende gibt sondern ein Universum, dass ihnen die Wahl lässt, wie Sie vorgehen wollen?
Es gibt offensichtliche Gründe für diese Spiele und ihren Mainstream-Erfolg, aber trotzdem wachen immer mehr Spieldesigner morgens auf und sagen: "Ich will eine Geschichte mit einem Anfang, einer Mitte und einem Ende erzählen und die Spielfigur auf Schienen laufen lassen."
Wenn Sie das wollen, sollen sie doch einen Film machen! Spiele sind interaktiv. Alle großen Titel in unserer Industrie waren Spiele, mit denen man intensiv interagieren konnte, die sehr zugänglich waren, die große persönliche Gestaltungsmöglichkeiten boten, die großartige Möglichkeiten zur Interaktion mit anderen Spielern boten und große Freiheit innerhalb der Spielwelt.
SPIEGEL ONLINE: Aber gleichzeitig soll die Konsole der nächsten Generation hochauflösende Bildschirme unterstützen und damit noch größere Entwicklerteams notwendig machen, die noch realistischere, größere und teurere Spielwelten erschaffen. Bringen Sie die Spieldesigner so nicht dazu, filmartigere Spiele zu machen?
Allard: Nehmen Sie Adventure-Spiele. Wir könnten damit verschiede Wege einschlagen. Eine Möglichkeit wäre eine Art Rundfunk-Modell: Stellen Sie sich ein Spiel vor, das wie eine Fernsehserie konstruiert ist, im Gegensatz zu diesen epischen Spielen, für die man 50 Stunden braucht.
Eine Fernsehserie wie "24" erfordert, dass wir vier Monate lang unsere Freizeit investieren. Aber keiner betrachtet das so, weil wir die Story in 45-Minuten-Häppchen zu uns nehmen. Das ist verdaulich, wir sind gespannt auf die nächste Woche. Wenn der Sender eine Woche überspringt, steigt die Spannung sogar noch.
In Spielen machen wir das nicht. Wir stecken das ganze Epos hinein, wir fallen hinter den Zeitplan zurück, wir bringen das Spiel überhastet heraus, wir erzählen die Geschichte nicht so zu Ende, wie wir es vorhatten - und Sie als Kunde wissen das. Dann spielen Sie das Spiel und fühlen sich gehetzt, als ob Sie es in drei oder vier Tagen schaffen müssten. Warum sollten wir Ihnen nicht nur Kapitel Eins geben und dann Feedback einholen? Uns Anhören, was die Leute zu Kapitel Eins zu sagen haben? Und dann erst Kapitel Zwei produzieren?
Allard, Informationen über Xbox-Nachfolger: "Vielleicht werden die Gamer selbst Regie führen"
Allard:Bedingt durch den Anstieg der Produktionskosten für Spiele setzen die Firmen meistens auf bewährte Konzepte. Die Alternative ist ja, zehn Millionen Dollar für eine verrückte Idee auszugeben, nur um zu sehen, ob Sie sich auszahlt. Wir sollten statt dessen auf zehn Eine-Million-Dollar-Ideen setzen!
Die erste Folge herausbringen, sozusagen das Pilotspiel, nachsehen, wie es läuft. Und dann erst in die volle Produktion einsteigen. Die Inhalte werden wuchern, aber das heißt nicht, dass aus einem 40-Stunden-Spiel ein 80-Stunden-Spiel werden muss. Es heißt, dass aus einem 40-Stunden Spiel ein 40-Minuten-Spiel werden kann. Und aus einem Spiel für 20 Millionen Dollar könnte eine Idee für eine Million Dollar werden, wobei wir dann 200 Millionen in den weiteren Verlauf investieren - aber das wird dann eine Reise von zwei Jahren, auf deren Entwicklung die Kunden selbst einen stärkeren Einfluss haben werden. Vielleicht werden die Gamer selbst Regie führen.
SPIEGEL ONLINE: Und was ist, wenn ich ein paar Folgen verpasse, oder erst in der zweiten Staffel zu spielen anfange?
Allard: Dann interagieren Sie online mit anderen Leuten. Sie können sagen "Hey, ich bin mir nicht sicher, ob der hier ein Guter oder ein Böser ist" - und die anderen können es Ihnen sagen. Oder sie können Sie anlügen und so zusätzliche Konflikte innerhalb des Spieles schaffen. Bei Online-Rollenspielen ist die künstliche Intelligenz des Computers nur ein Backup - nicht das, womit Sie im Normalfall interagieren.
SPIEGEL ONLINE: Bedenkt man die Anfangskosten und den Rechercheaufwand für ein episodisches Spiel, wie realistisch wäre dann so ein Szenario? Und wie könnte ein Spiel, das über zwei Jahre hinweg läuft, mit neueren Titeln technisch mithalten?
Allard: Ich glaube "mithalten" ist etwas, das bald hinter uns liegen wird. Sehen Sie sich das Fernsehen, Kino, Bücher oder Musik an. Es ist selten, dass jemand etwas Neues bespricht und ein großartiges Produkt als "technisch unterlegen" im Vergleich zu anderen Inhalten desselben Mediums bezeichnet. Wegen der rasenden Entwicklung des Gaming und der Technik-Zentriertheit hängen wir noch zu sehr an diesem Aspekt fest.
Schauen Sie sich den Erfolg von GTA auf dieser Konsolengeneration an. Man kann kaum sagen, dass es sich visuell gegen die Konkurrenz behaupten konnte. Wir erreichen einen Punkt, an dem "Visual Fidelity" sich dem "gut genug" nähert und die Inhalte mehr nach Qualität beurteilt werden. Das wird die Entwickler zwingen, kreativer zu sein und sich mehr Gedanken zu machen, und das ist für alle Beteiligten gut!
SPIEGEL ONLINE: Ein weiterer Plan sieht vor, individuelle Anpassungsmöglichkeiten zu verstärken. Ihre nächste Konsole wird ein Bezahlsystem beinhalten, so dass Spieler ihr Auto in einem Rennspiel tunen können, oder für ihre Spielfigur eine bessere Waffe kaufen können. Erzeugt das nicht eine digitale Kluft zwischen Leuten, die das Spiel ohne zusätzliche Investitionen spielen und denen, die sich einen Spitzenplatz kaufen? Wie wollen Sie das lösen?
Allard: Das ist nicht zu lösen. So sind die Menschen nun mal. Ein Beispiel: Als ich aufwuchs, gab es reiche Kids, die einen Porsche zum Geburtstag bekamen. Ich konnte da nicht mithalten, ich hatte einen VW Käfer. Aber ich habe ihn nach meinem Geschmack lackiert, mich wirklich gut darum gekümmert und mir am Ende ein mörderische Stereoanlage eingebaut. Ich wollte immer noch einen Porsche, aber ich hatte Freunde, die sich mehr für Musik interessierten.
Online wird das genauso sein: Sie haben Cliquen und Gemeinschaften und Subkulturen. Und das ist gut: Ich will nicht gegen zwei Millionen zusammengewürfelte Leute Xbox Live spielen - sondern mit Leuten, die wie ich sind. Was passiert, wenn sie ihren Weg zum Sieg erkaufen? Die Spieleentwickler werden dafür den Hintern versohlt bekommen. Wenn die einzige Methode zu siegen ist, Geld auszugeben, wird das ein Misserfolg werden.
Anererseits: Wenn Sie nur zehn Stunden Zeit für ein Rennspiel übrig haben, aber mit dem Auto spielen wollen, das Sie erst nach 500 Stunden als Belohnung bekommen, warum sollten Sie es nicht für zwei Dollar kaufen können? Und weil das Spiel ihre Erfolge protokolliert, wird man wissen, wer das Auto erspielt und wer es gekauft hat.
SPIEGEL ONLINE: Sie sprechen von "vielgestaltigem intellektuellem Eigentum". Regisseure wie James Cameron oder die Wachovsky Brüder reden begeistert davon, Filme und Videospiele gleichzeitig zu entwickeln. Aber bisher haben wir noch kein wirklich tolles Beispiel für so etwas gesehen. Das "Matrix"-Videospiel hat sich aufgrund intensiven Marketings und einer populären Marke gut verkauft, aber nicht, weil es ein besonders gutes Produkt war.
Allard: Ich mochte das Spiel, aber ich fand, dass die Veröffentlichung überhastet war. Man konnte das Potenzial aber sehen. Es ist ein Anfang. Die Wachovskys haben es versucht, Cameron wird es versuchen. Wir werden das hinkriegen. Es braucht nur ein bisschen Zeit.
SPIEGEL ONLINE: Ihrer Vision zufolge ist hochauflösendes Fernsehen und Spielen die Zukunft. Aber viele Leute verwenden immer noch ein billiges Antennenkabel, um ihren Videorekorder oder ihre Konsole an den Fernseher zu hängen. Wie kommen Sie darauf, dass die Leute sich nicht nur eine neue Konsole, sondern auch noch einen neuen Fernseher und womöglich auch ein neues Soundsystem kaufen werden?
Allard: Ich glaube, die High-Definition-Ära beschränkt sich nicht auf das digitale Wohnzimmer. Selbst mit einem Fernseher von 1960 werden Sie mit ihren Freunden viel Spaß haben, es wird großartige Spiele geben, die auf einer großartigen Plattform aufbauen. Wenn Sie die visuellen Effekte aber einmal auf einem besseren System gesehen haben, werden Sie wirklich nicht mehr anders spielen wollen.
SPIEGEL ONLINE: Wie lang wird es also dauern, die Menschen zu überreden, sich einen neuen Fernseher zuzulegen?
Allard: Das hängt von den Spieldesignern ab. Die haben das in der Hand.
Die Fragen stellte Roland Austinat
"Die Entwickler werden den Hintern versohlt bekommen"
Allard gehört zu den Vätern von Microsofts Xbox-Spielkonsole. Er weiß auch schon, wie die heiß erwartete nächste Generation der Spielekisten aussehen wird. Mit SPIEGEL ONLINE sprach er über Spiele im Format von Fernsehserien, über hochauflösendes Gaming, über seinen VW Käfer - und über die Fehler der Spieleindustrie.
Xbox-Mastermind J Allard
J Allard gehört zu den Vätern der Xbox, einer kleinen Gruppe von Microsoftangestellten, die die Konsole zunächst auf eigene Faust entwickelten. Er arbeitet seit seinem Hochschulabschluss 1991 für das Unternehmen. Innerhalb des Konzerns hat er auch an verschiedenen Internetanwendungen gearbeitet. 2003 wählte ihn "The Hollywood Reporter" unter die "Top 35 Entertainment Executives Under 35".
SPIEGEL ONLINE: Mr. Allard, in ihrem Vortrag bei der Game Developers Conference haben Sie einen Atari-Werbespot aus den frühen Achtzigern erwähnt. Darin versammelten sich alle Generationen um einen Fernseher, um Videospiele zu spielen - doch das ist immer noch Science Fiction. Oder spielen Ihre Eltern Videospiele?
Allard: Nein, die spielen PC-Spiele. Mein kleiner Bruder schreibt sogar einfache Spiele, so wie Solitaire, und sie werden richtig süchtig danach. Xbox Arcade - Arkadeklassiker, die Sie aus dem Internet herunterladen können - ist ein erster Versuch, ein Hinweis darauf, wo wir mit unserer nächsten Konsole hinwollen, um sicherzustellen, dass dieses Publikum diese Art von Spielerfahrung nicht verpasst. Das Lustige an dem erwähnten Werbespot ist: Der einzige, der kein Videospiel spielt, ist der 19jährige Pizzabote - und dass ist die Zielgruppe, für die wir heute Spiele machen.
SPIEGEL ONLINE: Heute sind Leute, die vor 25 Jahren mit Atarikonsolen spielten, in ihren Dreißigern oder Vierzigern. Videospiele sind aber immer noch nicht als ein Medium unter vielen akzeptiert. Stattdessen sind sie der bevorzugte Sündenbock für verschiedene Verbrechen und Dinge, die schief laufen. Wie erklären Sie sich das, und wird es sich je ändern?
Allard: Es gibt mehrere Gründe dafür. Einer ist, dass das Medium für die Allgemeinheit nicht so zugänglich ist wie andere. Nehmen Sie Bücher: Wie sozial akzeptiert ist es, herumzuhängen und Shakespeare zu lesen? Nicht viele Leute machen das, weil es einem einiges abverlangt. Sehr lange Geschichten, schwer zu lesen, nicht in der Sprache geschrieben, die uns vertraut ist - passt eigentlich nicht in die moderne Kultur.
Es ist schwieriger, für 30 oder 40 Minuten ein Spiel zu spielen, als fernzusehen, in einer Zeitschrift zu blättern oder ein Buch von John Grisham zu lesen. Wenn wir Spiele ein bisschen leichter konsumierbar machen, wird Gaming eher sozial akzeptiert werden.
Noch mal: Denken Sie an Solitaire. Keiner denkt, dass das so was Schlimmes ist. Keiner sagt, Solitaire habe die Produktivität oder das Bruttosozialprodukt reduziert - dabei hat es der Produktivität am Arbeitsplatz wahrscheinlich mehr geschadet als jedes andere Spiel. Aber diesen Zusammenhang stellt niemand her, weil das Spiel einfach zu konsumieren ist und jeder einen Zugang dazu finden kann.
Wir machen unsere Spiele zu "schwer". Sie sind wie "Krieg und Frieden" oder Shakespeare oder ein Vier-Stunden-Film. Pong war für jeden etwas. Es gestattete, die Lücken mit Phantasie zu füllen, und man brauchte bloß zehn Minuten zum Spielen. Und einen Partner. Davon sind wir heute weg: Man spielt alleine, und muss riesige Mengen Zeit investieren.
Wir selbst sorgen also dafür, dass Gaming nicht jedermann erreicht. Die Leute haben keine Zeit, und wenn sie mal freie Zeit haben, wollen sie die nicht alleine verbringen. Wann haben Sie bei Halo oder Grand Theft Auto (GTA) zum letzten mal nach einer Stunde den Controller an jemand anderen weitergereicht? Heutige Spiele sind dafür gemacht, den Spieler in ihrer Welt festzuhalten - das sollten wir aufbrechen!
SPIEGEL ONLINE: Für die nächste Konsolengeneration planen Sie Titel, die 20 Millionen mal und mehr verkauft werden sollen - was für eine Sorte Spiel soll jemals in der Lage sein, solche Zahlen zu erreichen?
Allard: Wir brauchen Spiele, die althergebrachte Vorstellungen aufbrechen. Nehmen Sie Myst - eine Menge Leute waren der Meinung, das sei gar kein Spiel. Es hatte ein sehr simples Interface, man konnte nicht hängen bleiben, es war sehr kopflastig. Heute sind die Bezugspunkte fürs Game-Design die Antithese davon. Warum orientieren wir uns nicht an den Sims, wo Personalisierung alles ist? Warum orientieren wir uns nicht an GTA, einem Spiel, in dem es nicht einen Anfang, eine Mitte und ein Ende gibt sondern ein Universum, dass ihnen die Wahl lässt, wie Sie vorgehen wollen?
Es gibt offensichtliche Gründe für diese Spiele und ihren Mainstream-Erfolg, aber trotzdem wachen immer mehr Spieldesigner morgens auf und sagen: "Ich will eine Geschichte mit einem Anfang, einer Mitte und einem Ende erzählen und die Spielfigur auf Schienen laufen lassen."
Wenn Sie das wollen, sollen sie doch einen Film machen! Spiele sind interaktiv. Alle großen Titel in unserer Industrie waren Spiele, mit denen man intensiv interagieren konnte, die sehr zugänglich waren, die große persönliche Gestaltungsmöglichkeiten boten, die großartige Möglichkeiten zur Interaktion mit anderen Spielern boten und große Freiheit innerhalb der Spielwelt.
SPIEGEL ONLINE: Aber gleichzeitig soll die Konsole der nächsten Generation hochauflösende Bildschirme unterstützen und damit noch größere Entwicklerteams notwendig machen, die noch realistischere, größere und teurere Spielwelten erschaffen. Bringen Sie die Spieldesigner so nicht dazu, filmartigere Spiele zu machen?
Allard: Nehmen Sie Adventure-Spiele. Wir könnten damit verschiede Wege einschlagen. Eine Möglichkeit wäre eine Art Rundfunk-Modell: Stellen Sie sich ein Spiel vor, das wie eine Fernsehserie konstruiert ist, im Gegensatz zu diesen epischen Spielen, für die man 50 Stunden braucht.
Eine Fernsehserie wie "24" erfordert, dass wir vier Monate lang unsere Freizeit investieren. Aber keiner betrachtet das so, weil wir die Story in 45-Minuten-Häppchen zu uns nehmen. Das ist verdaulich, wir sind gespannt auf die nächste Woche. Wenn der Sender eine Woche überspringt, steigt die Spannung sogar noch.
In Spielen machen wir das nicht. Wir stecken das ganze Epos hinein, wir fallen hinter den Zeitplan zurück, wir bringen das Spiel überhastet heraus, wir erzählen die Geschichte nicht so zu Ende, wie wir es vorhatten - und Sie als Kunde wissen das. Dann spielen Sie das Spiel und fühlen sich gehetzt, als ob Sie es in drei oder vier Tagen schaffen müssten. Warum sollten wir Ihnen nicht nur Kapitel Eins geben und dann Feedback einholen? Uns Anhören, was die Leute zu Kapitel Eins zu sagen haben? Und dann erst Kapitel Zwei produzieren?
Allard, Informationen über Xbox-Nachfolger: "Vielleicht werden die Gamer selbst Regie führen"
Allard:Bedingt durch den Anstieg der Produktionskosten für Spiele setzen die Firmen meistens auf bewährte Konzepte. Die Alternative ist ja, zehn Millionen Dollar für eine verrückte Idee auszugeben, nur um zu sehen, ob Sie sich auszahlt. Wir sollten statt dessen auf zehn Eine-Million-Dollar-Ideen setzen!
Die erste Folge herausbringen, sozusagen das Pilotspiel, nachsehen, wie es läuft. Und dann erst in die volle Produktion einsteigen. Die Inhalte werden wuchern, aber das heißt nicht, dass aus einem 40-Stunden-Spiel ein 80-Stunden-Spiel werden muss. Es heißt, dass aus einem 40-Stunden Spiel ein 40-Minuten-Spiel werden kann. Und aus einem Spiel für 20 Millionen Dollar könnte eine Idee für eine Million Dollar werden, wobei wir dann 200 Millionen in den weiteren Verlauf investieren - aber das wird dann eine Reise von zwei Jahren, auf deren Entwicklung die Kunden selbst einen stärkeren Einfluss haben werden. Vielleicht werden die Gamer selbst Regie führen.
SPIEGEL ONLINE: Und was ist, wenn ich ein paar Folgen verpasse, oder erst in der zweiten Staffel zu spielen anfange?
Allard: Dann interagieren Sie online mit anderen Leuten. Sie können sagen "Hey, ich bin mir nicht sicher, ob der hier ein Guter oder ein Böser ist" - und die anderen können es Ihnen sagen. Oder sie können Sie anlügen und so zusätzliche Konflikte innerhalb des Spieles schaffen. Bei Online-Rollenspielen ist die künstliche Intelligenz des Computers nur ein Backup - nicht das, womit Sie im Normalfall interagieren.
SPIEGEL ONLINE: Bedenkt man die Anfangskosten und den Rechercheaufwand für ein episodisches Spiel, wie realistisch wäre dann so ein Szenario? Und wie könnte ein Spiel, das über zwei Jahre hinweg läuft, mit neueren Titeln technisch mithalten?
Allard: Ich glaube "mithalten" ist etwas, das bald hinter uns liegen wird. Sehen Sie sich das Fernsehen, Kino, Bücher oder Musik an. Es ist selten, dass jemand etwas Neues bespricht und ein großartiges Produkt als "technisch unterlegen" im Vergleich zu anderen Inhalten desselben Mediums bezeichnet. Wegen der rasenden Entwicklung des Gaming und der Technik-Zentriertheit hängen wir noch zu sehr an diesem Aspekt fest.
Schauen Sie sich den Erfolg von GTA auf dieser Konsolengeneration an. Man kann kaum sagen, dass es sich visuell gegen die Konkurrenz behaupten konnte. Wir erreichen einen Punkt, an dem "Visual Fidelity" sich dem "gut genug" nähert und die Inhalte mehr nach Qualität beurteilt werden. Das wird die Entwickler zwingen, kreativer zu sein und sich mehr Gedanken zu machen, und das ist für alle Beteiligten gut!
SPIEGEL ONLINE: Ein weiterer Plan sieht vor, individuelle Anpassungsmöglichkeiten zu verstärken. Ihre nächste Konsole wird ein Bezahlsystem beinhalten, so dass Spieler ihr Auto in einem Rennspiel tunen können, oder für ihre Spielfigur eine bessere Waffe kaufen können. Erzeugt das nicht eine digitale Kluft zwischen Leuten, die das Spiel ohne zusätzliche Investitionen spielen und denen, die sich einen Spitzenplatz kaufen? Wie wollen Sie das lösen?
Allard: Das ist nicht zu lösen. So sind die Menschen nun mal. Ein Beispiel: Als ich aufwuchs, gab es reiche Kids, die einen Porsche zum Geburtstag bekamen. Ich konnte da nicht mithalten, ich hatte einen VW Käfer. Aber ich habe ihn nach meinem Geschmack lackiert, mich wirklich gut darum gekümmert und mir am Ende ein mörderische Stereoanlage eingebaut. Ich wollte immer noch einen Porsche, aber ich hatte Freunde, die sich mehr für Musik interessierten.
Online wird das genauso sein: Sie haben Cliquen und Gemeinschaften und Subkulturen. Und das ist gut: Ich will nicht gegen zwei Millionen zusammengewürfelte Leute Xbox Live spielen - sondern mit Leuten, die wie ich sind. Was passiert, wenn sie ihren Weg zum Sieg erkaufen? Die Spieleentwickler werden dafür den Hintern versohlt bekommen. Wenn die einzige Methode zu siegen ist, Geld auszugeben, wird das ein Misserfolg werden.
Anererseits: Wenn Sie nur zehn Stunden Zeit für ein Rennspiel übrig haben, aber mit dem Auto spielen wollen, das Sie erst nach 500 Stunden als Belohnung bekommen, warum sollten Sie es nicht für zwei Dollar kaufen können? Und weil das Spiel ihre Erfolge protokolliert, wird man wissen, wer das Auto erspielt und wer es gekauft hat.
SPIEGEL ONLINE: Sie sprechen von "vielgestaltigem intellektuellem Eigentum". Regisseure wie James Cameron oder die Wachovsky Brüder reden begeistert davon, Filme und Videospiele gleichzeitig zu entwickeln. Aber bisher haben wir noch kein wirklich tolles Beispiel für so etwas gesehen. Das "Matrix"-Videospiel hat sich aufgrund intensiven Marketings und einer populären Marke gut verkauft, aber nicht, weil es ein besonders gutes Produkt war.
Allard: Ich mochte das Spiel, aber ich fand, dass die Veröffentlichung überhastet war. Man konnte das Potenzial aber sehen. Es ist ein Anfang. Die Wachovskys haben es versucht, Cameron wird es versuchen. Wir werden das hinkriegen. Es braucht nur ein bisschen Zeit.
SPIEGEL ONLINE: Ihrer Vision zufolge ist hochauflösendes Fernsehen und Spielen die Zukunft. Aber viele Leute verwenden immer noch ein billiges Antennenkabel, um ihren Videorekorder oder ihre Konsole an den Fernseher zu hängen. Wie kommen Sie darauf, dass die Leute sich nicht nur eine neue Konsole, sondern auch noch einen neuen Fernseher und womöglich auch ein neues Soundsystem kaufen werden?
Allard: Ich glaube, die High-Definition-Ära beschränkt sich nicht auf das digitale Wohnzimmer. Selbst mit einem Fernseher von 1960 werden Sie mit ihren Freunden viel Spaß haben, es wird großartige Spiele geben, die auf einer großartigen Plattform aufbauen. Wenn Sie die visuellen Effekte aber einmal auf einem besseren System gesehen haben, werden Sie wirklich nicht mehr anders spielen wollen.
SPIEGEL ONLINE: Wie lang wird es also dauern, die Menschen zu überreden, sich einen neuen Fernseher zuzulegen?
Allard: Das hängt von den Spieldesignern ab. Die haben das in der Hand.
Die Fragen stellte Roland Austinat